STELL DIR VOR, ES IST PANDEMIE UND KEINER ZOOMT
Zu Beginn des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020, wurde schnell die Parole „Rufen Sie ihre Lieben an, halten Sie Kontakt per Telefon!“ ausgegeben, um vor allem älteren Angehörigen die Isolation zu erleichtern. Schnell wurde aber die Zoom-Session zum Format der ersten Wahl auserkoren und draußen blieben die, um die es eigentlich ging: die Nichtsovernetzten bzw. die Andersvernetzten.
Dass statistisch jede Zoom-Session länger als nötig dauert, und dass sich eine Kommunikationskultur des Nicht-richtig-aufhören-könnens durch dieses Medium entwickelt hat, beobachten viele mit Sorge, ohne dem Einhalt gebieten zu können. Beim Telefon hingegen sind die Formalita bereits über Dekaden hinweg erprobt und erlernt.
Das Telefon – im besten Falle das echte alte Festnetz – ist immer noch das stabilste und verlässlichste Kommunikationsmittel (ähnlich wie das terrestrische Radio, aber das ist eine andere Geschichte).
Dafür, dass wir in einer Zeit leben, in der jeder mindestens ein Telefon besitzt, telefonieren wir aber erstaunlich selten. Anrufe bekommen wir meist nur von Mama, Oma oder Opa („ich rufe in 2 Minuten zurück“). Das könnte sich im Umgang/Nachgang der Pandemie ändern: denn einerseits schenkt uns die Pandemie Zeit dafür und andererseits ist der akustische Sozialkontakt von vielfach größerer Intensität als jedes zweidimensionale Videobildchen. Außerdem benötigt das Telefonat keinen visuellen Hintergrund und keine räumliche Vorbereitung, sondern nur ein wenig Stille. Es ist immer noch schneller und unmittelbarer.
TELEFONKONZERTE
Das Telefonkonzert funktioniert vordergründig zunächst wie ein Radio-live-Konzert: „Guten Tag liebe Hörer:innen (Hallo Frau/Herr…) sie hören nun ‚Interpret:in‘ mit dem Werk ‚Werkname/Urheber:in‘ live aus dem ‚Konzertort‘. Wir wünschen gute Unterhaltung!“.
Der Unterschied: der/die Interpret:in ist selbst am (Telefon-)Hörer und das Telefonkonzert ist nur für individuelle Telekommunikations-teilnehmer:innen gedacht (ggf. für Mitbewohner:innen falls eine Freisprechanlage vorhanden ist, jedenfalls aber nur für einen Haushalt).
Soweit der kleinste gemeinsame Nenner in Sachen Hygienschutz für Publikum und Akteur:inn:e:n.
Das Telefonkonzert ermöglicht darüberhinaus die Berücksichtigung individuellster Bedürfnisse der Hörenden: in An-, Zwischen- und Abmoderation fungieren die Spielenden gleichzeitig auch als Programm- und Interpreteninformant:inn:en und können damit die Hörenden viel direkter emotional einbinden, als es Konzerte bisher vermochten.
HYBRIDFORMAT TEXT
Die Künstler:innen spielen für und sprechen mit ihrem Publikum. Diese Hybridform aus Gespräch und Musik ermöglicht nicht nur eine spontan modifizierbare Programmgestaltung auf Grund von Hinweisen/Vorlieben der Hörenden, sondern – im besten Falle – auch für die Spielenden ein besseres Kennenlernen des eigenen Publikums und die Annahme von – im besten Falle interessanten – Impulsen.
DOPPELHYBRID TECHNIK
Je nach technischer Ausstattung der Hörenden, können im Vorfeld und/oder Konzertverlauf vorbereitete und/oder vorproduzierte ‚Add-Ons‘ eingebracht werden: Klänge/Zuspielungen, Bilder/Videos, Atmos, Webseiten, Texte etc. gespielt vom häuslichen Fernseher, PC, Radio, Zweitphone, CD-Player, Kassettenrecorder, Plattenspieler, Grammophon etc.
Damit wird das Telefonkonzert zu einem multimedialen Ereignis, das die singuläre Techniklandschaft der Hörenden in ein Gesamtkunstwerk einbettet.
Nicht zu unterschätzen der technische Support, der vom Spielenden sicherlich im ein oder anderen Falle gewährleistet werden muss. Aber auch hier werden mit dem Barriere-Abbau neue und bislang ungeahnte Verbindungen zwischen Publikum und Interpret:inn:en geknüpft.
TELEFONKONZERTE · Digitale Musikkulturen 2020 · Preis für innovative Konzertformate des NRW-Kultursekretariats